Blinde Flecken in Mediationsverfahren

IMG_5001png


Unbewusste Voreingenommenheit und Beobachtungen höherer Ordnung.

Mediation ist ein mächtiges Werkzeug zur Konfliktlösung, zur Förderung der Kommunikation und zum Erreichen gegenseitigen Verständnisses zwischen den Parteien. Die Wirksamkeit der Mediation kann jedoch durch das Vorhandensein unbewusster Voreingenommenheit, sogenannter „blinder Flecken“, auf Seiten der MediatorInnen beeinträchtigt werden. Diese Voreingenommenheiten, die den MediatorInnen oft selbst nicht bewusst sind, können ihre Wahrnehmung und ihr Urteilsvermögen beeinflussen und potenziell zu verzerrten Ergebnissen führen. Dieser Artikel untersucht die Natur dieser blinden Flecken und das Konzept der Beobachtungen höherer Ordnung, wie sie von Heinz von Foerster vorgeschlagen wurden, um das Verständnis und die Abschwächung der Auswirkungen unbewusster Voreingenommenheit in der Mediation zu verbessern.

Verständnis von blinden Flecken in der Mediation

Blinde Flecken oder unbewusste Voreingenommenheit sind vorgefasste Meinungen und Einstellungen, die Individuen ohne bewusste Wahrnehmung hegen. Diese Voreingenommenheiten können aus verschiedenen Quellen stammen, einschließlich kulturellem Hintergrund, persönlichen Erfahrungen und gesellschaftlichen Einflüssen. Im Kontext der Mediation können sich blinde Flecken auf mehrere Arten manifestieren:

  1. Implizite Präferenzen: MediatorInnen bevorzugen unbewusst eine Partei gegenüber der anderen aufgrund von Merkmalen wie Geschlecht, Herkunft oder sozioökonomischem Status.
  2. Bestätigungsfehler: MediatorInnen schenken Informationen, die ihre vorgefassten Meinungen bestätigen, mehr Aufmerksamkeit und ignorieren Informationen, die ihnen widersprechen.
  3. Stereotypisierung: MediatorInnen treffen Annahmen über Parteien basierend auf verallgemeinerten Überzeugungen über bestimmte Gruppen, anstatt individuelle Umstände zu berücksichtigen.

Diese Voreingenommenheiten können die Neutralität und Allparteilichkeit der MediatorInnen beeinträchtigen und die Fairness des Mediationsprozesses untergraben.

Systemisch-konstruktivistische Unterscheidungen und Beobachtungen höherer Ordnung

Besonders hilfreich für ein besseres Verständnis, wie das kommunikative Prozedere im Verlauf eines Mediationsverfahrens funktioniert, ist die systemisch-konstruktivistische Unterscheidung zwischen der Beobachtung erster Ordnung und jener höherer Ordnung. Beobachten stellt stets eine Differenzierung her. Dabei wird eine Seite (Aspekt) beleuchtet, während eine andere Seite im Schatten des Lichtkegels unerkannt bleibt. Die getroffene Unterscheidung selbst wird dabei nicht thematisiert, wodurch jeder Beobachtung ein blinder Fleck inhärent ist. Dieser wird erst durch eine erneute – zweite oder höhere – Beobachtung deutlich und weist dann wiederum einen blinden Fleck auf. Ein Beobachter zweiter Ordnung beobachtet eben jene Unterscheidungen, die der Beobachter erster Ordnung trifft.

Anwenden von Beobachtungen höherer Ordnung in der Mediation

MediatorInnen sind idealerweise BeobachterInnen zweiter oder höherer Ordnung. Sie sollten durch ihre Beobachtungen jene blinden Flecke erkennen und mittels geeigneter Kommunikation offenlegen, die durch die Beobachtungen (Unterscheidungen) erster Ordnung der MediandInnen im Konfliktgeschehen entstanden sind und zur Blockade in der Lösungsfindung geführt haben. Wie bereits ausgeführt, entstehen allerdings auch bei Beobachtungen zweiter oder höherer Ordnung wiederum blinde Flecke. Diese können erst durch weitere Beobachtungen höherer Ordnung offengelegt werden. Um diese weiterfolgenden Beobachtungen zu systematisieren, wurde auch im Kontext von Mediationsverfahren die Methodik der Entwicklung und Bewährung von Arbeits- bzw. Prozesshypothesen eingeführt.

Arbeitshypothesen in der Mediation

Um ihrem Vermittlungsauftrag im oben dargelegten Sinn gerecht zu werden, haben MediatorInnen ihre Interventionen auf die konkrete Situation der MediandInnen abzustimmen und an die aktuelle Gesprächssituation anzupassen. Dazu entwickeln MediatorInnen Arbeitshypothesen über den Prozessverlauf.

Zum Beispiel über die Art des Konfliktes (des zugrunde liegenden Problems),

  • das/der aus Sicht der einzelnen MediandInnen gelöst werden soll;
  • über die Zielsetzungen und persönlichen Bedürfnisse;
  • Lösungsvorschläge;
  • über die Konfliktmuster und die Machtbalance im Konfliktsystem.
  • Ebenso über Hintergründe, weshalb bestimmte Lösungen nicht verwirklicht werden können.

Arbeitshypothesen nehmen somit Bezug auf Zielsetzungen und Prozesse des Mediationsverfahrens und unterstützen MediatorInnen bei einer angemessenen Verfahrensführung.

Arbeitshypothesen sind stets Annahmen. Keinesfalls sind diese als Urteile über MediandInnen, Sollvorstellungen, Vorschriften oder Überzeugungen über die richtige oder beste Lösung für die Konfliktparteien zu verstehen. Das Charakteristikum von Annahmen ist insbesondere ihre Offenheit und Revidierbarkeit. Gewissenhaft agierende MediatorInnen überprüfen daher stets die Relevanz getroffener Hypothesen. Dazu werden für jede Konfliktpartei spezifizierte Arbeitshypothesen gebildet. Diese werden jeweils getrennt bei jeder/m MediandIn untersucht und modifiziert, bis die jeweilige Konfliktpartei verbal oder non-verbal signalisiert, dass die getroffene Annahme relevant ist. Erst in diesem Fall eröffnen sich für MediatorInnen neue (zielführende) Möglichkeiten der lösungsfokussierten Prozessbegleitung.

Praktische Anwendung und Kommunikationstechniken

Die MediandInnen werden natürlich nicht unmittelbar mit den getroffenen Arbeitsannahmen konfrontiert. Das Überprüfen der Hypothesen erfolgt in erster Linie im Rahmen der „Selbstführung“ der BeraterInnen/MediatorInnen – somit durch Reflexionen bzw. Supervisionen. Ganz subtil eingesetzt können dazu auch geeignete Kommunikationsmethoden, wie Zusammenfassen, Paraphrasieren, Fokussieren, zirkuläres Fragen, Doppeln, Spiegeln des Verstandenen oder dergleichen, zum Einsatz gelangen.

Conclusio

Unbewusste Voreingenommenheit ist ein inhärenter Teil der menschlichen Kognition, und MediatorInnen sind nicht immun gegen ihre Auswirkungen. Durch die Anwendung des Konzepts der höherstufigen Beobachtungen können MediatorInnen ein tieferes Verständnis ihrer eigenen Wahrnehmungsprozesse entwickeln und die Auswirkungen blinder Flecken mindern. Diese reflektierende Praxis verbessert nicht nur die Fairness und Wirksamkeit der Mediation, sondern trägt auch zum übergeordneten Ziel bei, Gerechtigkeit und Gleichberechtigung in der Konfliktlösung zu erreichen. Durch kontinuierliche Selbstwahrnehmung und bewusste Bemühungen, Voreingenommenheiten entgegenzuwirken, können MediatorInnen die Integrität ihrer Rolle wahren und den beteiligten Parteien besser dienen.


Reflexionsfragen:

Selbstwahrnehmung und Bias

  • Welche unbewussten Voreingenommenheiten könnten meine eigene Wahrnehmung als MediatorIn beeinflussen?
  • Wie oft reflektiere ich meine eigenen Beobachtungen im Mediationsprozess, um mögliche blinde Flecken zu identifizieren?

Beobachtungsebenen

  • In welchen Situationen in der Mediation agiere die ProzessteilnehmerInnen als BeobachterInnen 1. Ordnung, und wann agieren MediatorInnen in die Rolle eines/einer BeobachterIn 2. oder höherer Ordnung?
  • Wie kann ich sicherstellen, dass ich nicht nur die Konfliktparteien beobachte, sondern auch meine eigenen Unterscheidungen und Bewertungen reflektiere?

Arbeitshypothesen und ihre Anwendung

  • Wie entwickle ich Arbeitshypothesen während des Mediationsprozesses, und inwieweit überprüfe ich regelmäßig deren Relevanz?
  • Welche Methoden setze ich ein, um die Richtigkeit meiner Hypothesen im Bezug auf die Bedürfnisse und Ziele der MediandInnen zu validieren?


Die Reflexion über blinde Flecken und unbewusste Voreingenommenheiten in der Mediation ist entscheidend für die Aufrechterhaltung der Neutralität und Fairness im Mediationsprozess. MediatorInnen, die sich ihrer eigenen Beobachtungen bewusst sind und regelmäßig höhere Beobachtungsebenen einnehmen, können tiefergehende Einsichten gewinnen und Konfliktparteien effektiver unterstützen. Die Entwicklung und kontinuierliche Überprüfung von Arbeitshypothesen bietet zudem ein wertvolles Instrument, um den Mediationsprozess gezielt und flexibel zu gestalten. Indem MediatorInnen sich diesen Herausforderungen stellen, tragen sie maßgeblich zur Qualität und Integrität ihrer Arbeit bei.

Ausblick auf die nächste Newsletterausgabe

In der nächsten Ausgabe unseres Newsletters werden wir uns mit dem Thema „Emotionale Intelligenz in der Mediation“ beschäftigen. Wir werden beleuchten, wie MediatorInnen emotionale Intelligenz einsetzen können, um die Dynamik zwischen den MediandInnen besser zu verstehen und konstruktiv zu steuern. Zudem werden wir praxisnahe Tipps und Techniken vorstellen, die helfen, emotionale Spannungen im Mediationsprozess zu erkennen und produktiv zu nutzen.

Gute Zeit und bis zum nächsten Mal.







Sind Sie interessiert, die Fähigkeiten und Techniken der Mediation zu erlernen und selbst Mediator/in zu werden? Wir bieten Ihnen eine praxisorientierte – vom Bundesministerium für Justiz anerkannte - Ausbildung, die Ihnen die notwendigen Werkzeuge und Methoden vermittelt, um Konflikte effektiv zu lösen und nachhaltige Vereinbarungen zu treffen.

Unsere Mediationsausbildung umfasst:

  • Praxisorientierte Workshops: Lernen Sie durch realistische Fallbeispiele und praktische Übungen.
  • Erfahrene Dozenten: Profitieren Sie von der Expertise erfahrener Mediatoren und Trainer.
  • Flexible Kurszeiten: Unsere Ausbildung ist so gestaltet, dass sie sich gut mit beruflichen Verpflichtungen vereinbaren lässt.
  • Zertifizierung/Assessment: Nach Absolvierung des Lehrgangs erhalten Sie ein Zertifikat, das Ihre fachliche Qualifikation als Mediator/in iSd §10 Zivilrechts-Mediations-Gesetzes bestätigt.

Starten Sie Ihre Reise in die Welt der Mediation und tragen Sie aktiv zur Lösung von Konflikten bei.