Hermeneutische Deutung in der Mediation

Hermeneutische Deutung in der Mediation

Verfahrensleitende Strukturen für Mediatoren und Mediationsverfahren

Hermeneutik ist die Kunst, Texte und Bedeutungen zu verstehen. Diese Methode kann auch in der Mediation helfen, Konflikte besser zu verstehen und zu lösen. Dieser Artikel zeigt, wie Mediatoren diese Methode in ihr Portfolio integrieren könnten.

Grundlagen der Hermeneutik

Hermeneutik basiert auf der Idee, dass Verstehen ein aktiver, dialogischer Prozess ist, der sowohl das Vorverständnis des Verstehers als auch den Kontext des zu verstehenden Inhalts berücksichtigt.

Schlüsselprinzipien der Hermeneutik beinhalten:

Zirkularität des Verstehens (Hermeneutischer Zirkel)

Der hermeneutische Zirkel ist ein zentrales Konzept in der Hermeneutik und beschreibt die zirkuläre Beziehung zwischen dem Verständnis des Teils und dem Verständnis des Ganzen.

  • Teil und Ganzes: Einzelne Wörter und Sätze verstehen wir nur im Kontext des gesamten Textes, während das Verständnis des gesamten Textes wiederum auf dem Verständnis seiner Teile basiert. Dieser Prozess ist kontinuierlich und dynamisch. Beispiel: Um einen Satz in einem Buch - in diesem Kontext - zu verstehen, müssen wir den gesamten Inhalt des Buches kennen. Gleichzeitig hilft uns das Verständnis einzelner Sätze, das Buch als Ganzes zu verstehen.
  • Anwendung in der Mediation: In der Mediation hilft das Verständnis des gesamten Konflikts (dem „Ganzen“) dabei, einzelne Aussagen und Verhaltensweisen der Parteien (die „Teile“) ‚besser‘ zu verstehen. Gleichzeitig tragen die detaillierten Informationen der Parteien zum Gesamtbild des Konflikts bei.

Vorverständnis

Das Konzept des Vorverständnisses betont, dass jeder Versteher (hier Mediand bzw Mediator) bereits eine gewisse Vorahnung, Erfahrungen und Erwartungen in den Verstehensprozess einbringt.

  • Subjektivität des Verstehens: Unsere Interpretation eines Textes oder einer Situation wird von unseren früheren Erfahrungen, kulturellen Hintergründen und persönlichen Überzeugungen beeinflusst.
  • Bewusstsein und Reflexion: Ein wichtiger Schritt im hermeneutischen Prozess ist das Bewusstwerden und die Reflexion über das eigene Vorverständnis, um unbewusste Vorurteile zu erkennen und zu hinterfragen.
  • Anwendung in der Mediation: Mediatoren müssen sich ihrer eigenen Voreingenommenheit bewusst sein und diese reflektieren, um objektiv und neutral agieren zu können. Sie helfen auch den Konfliktparteien, ihr eigenes Vorverständnis zu erkennen und zu hinterfragen, um ein tieferes Verständnis des Konflikts zu fördern. Beispiel: Jeder bringt eigene Erfahrungen und Erwartungen mit. Diese beeinflussen, wie wir Dinge verstehen. Mediatoren müssen ihre eigenen Vorurteile erkennen und reflektieren.

Dialogizität

Dialogizität betont die dialogische Natur des Verstehens, das durch interaktiven Austausch entsteht.

  • Dialogische Interaktion: Verstehen ist ein Prozess, der durch Kommunikation und Austausch zwischen Menschen entsteht. In einem Dialog bringen beide Seiten ihre Perspektiven ein und schaffen so gemeinsam neues Verständnis.
  • Horizontverschmelzung: Hans-Georg Gadamer prägte den Begriff der „Horizontverschmelzung“, bei dem die Horizonte der Beteiligten (ihre Perspektiven und Verstehenshorizonte) im Dialog verschmelzen und erweitern.
  • Anwendung in der Mediation: In der Mediation schafft der dialogische Austausch zwischen den Konfliktparteien ein tieferes Verständnis für die Perspektive des anderen. Der Mediator fördert diesen Dialog und hilft den Parteien, eine gemeinsame Basis zu finden. Beispiel: In einem Gespräch können wir unsere Sichtweisen erweitern und besser verstehen, indem wir die Perspektiven der anderen Person einbeziehen.

Mediator als ‚Hermeneut‘

Ein Mediator in der Rolle eines Hermeneuten versteht die verschiedenen Perspektiven und Bedeutungen der Konfliktparteien, um eine tiefere Verständigung zu ermöglichen. Diese Rolle erfordert spezifische Fähigkeiten und Ansätze:

  • Aktives Zuhören und Spiegeln: Aktives Zuhören bedeutet, nicht nur die gesprochenen Worte zu hören, sondern auch die dahinterliegenden Emotionen und Bedeutungen wahrzunehmen. Spiegeln bezieht sich auf das Reflektieren und Wiedergeben dessen, was der Mediator verstanden hat, um sicherzustellen, dass die Partei sich gehört und verstanden fühlt. Praktische Umsetzung umfasst das Paraphrasieren, emotionale Resonanz und Bestätigung. Beispiel: Der Mediator hört genau zu und wiederholt in eigenen Worten, was gesagt wurde, um sicherzustellen, dass er richtig verstanden hat.
  • Vorverständnis erkennen und hinterfragen: Jeder Mediator bringt eigene Erfahrungen und Erwartungen in den Mediationsprozess ein. Es ist wichtig, diese Vorverständnisse zu erkennen und kritisch zu hinterfragen, um die eigene Objektivität zu wahren. Dies erfordert Selbstreflexion, Supervision und Feedback sowie die Verwendung offener Fragen.
  • Förderung des Dialogs: Ein offener Dialog ist entscheidend für ein tieferes Verständnis zwischen den Konfliktparteien. Der Mediator fördert diesen Dialog durch gezielte Fragen und Interventionen. Methoden wie Fragen stellen, Neutralität (Allparteilichkeit) bewahren und dialogische Techniken anwenden sind dabei zentral.

Etablieren eines vertrauensvollen Rahmens

Ein sicherer und vertrauensvoller Rahmen ist entscheidend, um eine offene und ehrliche Kommunikation zwischen den Konfliktparteien zu fördern.

  • Neutralität und Allparteilichkeit: Der Mediator muss von Anfang an klarstellen, dass er keine Partei bevorzugt und neutral bleibt.
  • Vertraulichkeit: Die Zusicherung, dass alles, was in der Mediation besprochen wird, vertraulich behandelt wird, fördert das Vertrauen der Parteien.
  • Respekt und Wertschätzung: Der Mediator zeigt durch aktives Zuhören und wertschätzendes Verhalten, dass er die Anliegen und Gefühle beider Parteien ernst nimmt.


Strukturierte Verfahrensphasen

Strukturierte Verfahrensphasen helfen, den Mediationsprozess zu organisieren und sicherzustellen, dass jede Partei die Möglichkeit hat, gehört und verstanden zu werden.

  1. Eröffnungsphase: Der Mediator erklärt den Ablauf der Mediation und die Regeln für den Dialog (Auftragsklärung).
  2. Klärungsphase: Jede Partei erhält die Gelegenheit, ihre Sichtweise ohne Unterbrechung darzulegen und zu (er)klären (Selbstklärung).
  3. Erkundungsphase: Der Mediator greift elementare Aussagen aus der Selbstklärung der Parteien auf, um tiefergehende Informationen (Bedürfnisse) zu heben und Missverständnisse offenzulegen und zu verstehen.
  4. Reflexionsphase: Beide Parteien reflektieren über das Gehörte und teilen ihre Gedanken und Gefühle wechselseitig (Dialogisieren).
  5. Lösungsphase: Der Mediator unterstützt die Parteien bei der Entwicklung und Bewertung möglicher Lösungen und führt sie zu einer gemeinsamen Vereinbarung.

Reflexion und Feedback

Regelmäßige Reflexion und Feedback-Runden sind wichtig, um sicherzustellen, dass die Mediation effektiv ist und alle Parteien sich gehört und verstanden fühlen.

  • Feedback-Schleifen: Nach jeder Verfahrensphase können kurze Feedback-Runden durchgeführt werden.
  • Selbstreflexion des Mediators: Der Mediator reflektiert regelmäßig über seine eigene Rolle und sein Vorgehen.
  • Gemeinsame Reflexion: Der Mediator initiiert Phasen der gemeinsamen Reflexion, in denen die Parteien über den Fortschritt der Mediation und über neu gewonnene Einsichten sprechen.

Schlussfolgerung

Die hermeneutischen Prinzipien – Zirkularität des Verstehens, Vorverständnis und Dialogizität – bieten einen reichhaltigen Rahmen für die Mediation. Durch die Anwendung dieser Prinzipien können Mediatoren ein tieferes Verständnis der Konflikte entwickeln und die Konfliktparteien dabei unterstützen, ihre Perspektiven zu erweitern und gemeinsam tragfähige Lösungen zu erarbeiten. Die praktische Umsetzung umfasst das Etablieren eines vertrauensvollen Rahmens, strukturierte Dialogphasen sowie regelmäßige Reflexion und Feedback. Dies trägt dazu bei, dass die Konfliktparteien sich verstanden und respektiert fühlen und ermöglicht eben nachhaltige Konfliktlösungen.


  • Wie setzen Sie hermeneutische Prinzipien in Ihrer eigenen Arbeit ein?
  • Haben Sie schon einmal erfahren, wie dieses hier gemeinte tiefere Verständnis durch Dialog und Reflexion eine Konfliktlösung erst ermöglicht hat?

Ihre Gedanken und Erfahrungen dazu interessieren uns sehr!

Herzliche Grüße und bis nächste Woche






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